Souveränität statt Abhängigkeit
Jens Mühlner ist Vorsitzender des gemeinnützigen Trägervereins der Charta digitale Vernetzung, einem im Nationalen Digital Gipfel der Bundesregierung entwickelten Kodex für die verantwortungsvolle digitale Transformation. Er ist seit über 30 Jahren in leitenden Positionen der Digitalwirtschaft tätig und lebt mit seiner Familie in Bremen-Nord.Foto: fr
Artikel vom: 31.12.2025
Region – (jm) Bremen-Nord war immer eine Region von Machern. Unternehmer, die ihre Betriebe selbst führten. Menschen, die ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nahmen. Doch die digitale Transformation hat ihre Freiheit unterhöhlt, ohne dass es so richtig bemerkt wurde. Durch kleine, pragmatische Entscheidungen – ein Cloud-Service hier, eine kostenlose App dort – haben Unternehmen und Menschen Kontrolle abgegeben. Jede Entscheidung machte einzeln Sinn. Zusammen haben sie etwas erzeugt, was wenige bedachten: Abhängigkeit.
Es geht um handfeste wirtschaftliche und persönliche Risiken. Auch hier vor Ort, in Vegesack, Blumenthal und Lesum. Digitale Abhängigkeit ist eine stille Abhängigkeit, die sich wie Pragmatismus anfühlte – bei Unternehmen, die Kosten sparen wollten, und bei Privatpersonen, die kostenlose Dienste nutzten. Ein Maschinenbauer konnte seine IT-Kosten um 30 Prozent senken, indem er in die Cloud wechselte. Ein Logistiker konnte plötzlich weltweit auf Daten zugreifen. Ein kleines Unternehmen konnte sich durch Software-as-a-Service IT-Systeme mieten, wie sie sich bisher nur Großunternehmen leisteten. Für Privatpersonen war das Angebot gleich verlockend: kostenlose E-Mail, kostenlose Cloud-Speicherung, kostenlose soziale Netzwerke, kostenlose Navigation, kostenloses Video-Streaming.
Was dabei in den Hintergrund rückte: Wer kontrolliert diese Systeme eigentlich? Wer hat Zugriff auf meine Daten? Und was bin ich bereit, dafür zu zahlen – mit meinen Daten? Und jetzt – in Zeiten von Cyberangriffen, Datendiebstahl, geopolitischen Spannungen – wird diese Abhängigkeit zum echten Risiko.
Die digitale Abhängigkeit entstand in zwei Formen gleichzeitig. Erstens strukturell: Wir sind abhängig von Anbietern, weil ihre Infrastrukturen dominieren und wir sie nicht verlassen können, ohne massive Kosten. Zweitens kognitiv: Wir wissen nicht mehr, wie digitale Systeme funktionieren – und können deshalb nicht souverän handeln. Und bei KI-Modellen kann niemand sicher nachvollziehen, wie sie funktionieren.
Und jetzt – in Zeiten von Cyberangriffen, Datendiebstahl, geopolitischen Spannungen – wird diese Abhängigkeit zum echten Risiko. 2024 zeigte das ein Software-Update von CrowdStrike: Ein Fehler eines US-amerikanischen Sicherheitsanbieters und weltweit waren Flughäfen offline, Banken standen still, Krankenhäuser verloren Daten. Unternehmen waren gelähmt – nicht wegen eines eigenen Fehlers, sondern weil sie abhängig waren von etwas, das sie nicht kontrollieren konnten.
Digitale Souveränität ist aber nicht nur eine Frage der Abhängigkeit von Anbietern. Es ist eine Frage der Fähigkeit und Kompetenz, die zunehmend digitale Welt selbstbestimmt zu gestalten. Der Fähigkeit und des Wissens, souverän mit Digitalisierung umzugehen. Die Charta digitale Vernetzung hat einen Grundsatz dafür: Digitale Vernetzung soll der Freiheit und dem Wohlstand der Gesellschaft dienen.
Das bedeutet auch: Menschen brauchen die Fähigkeiten und das Verständnis, um frei zu entscheiden, wie sie mit Digitalisierung umgehen wollen. Ein digital souveränes Unternehmen muss für seine IT nicht alles selbst bauen. Meine Empfehlung an Bremen Nord: Für Unternehmen: Fragen Sie: Welche Systeme nutzen wir? Verstehen wir sie? Wo sind die Risiken und Abhängigkeiten? Welche Fähigkeiten brauchen wir? Dann: Setzen Sie bei neuen Projekten bewusst auf europäische Alternativen. Lernen Sie kontinuierlich. Teilen Sie Erfahrungen mit anderen Unternehmen.
Für Privatpersonen: Beginnen Sie damit, digitale Prozesse zu hinterfragen. Wählen Sie bewusst. Nicht dem Trend folgen, sondern Alternativen prüfen. Teilen Sie Wissen mit Familie und Freunden.
Für Politik und Institutionen: Fördern Sie digitale Bildung. Schaffen Sie Orte und Strukturen, wo Menschen und Unternehmen zusammen lernen. Unterstützen Sie europäische Alternativen. Unterstützen Sie Open Source. Und: Vertrauen Sie darauf, dass Menschen, wenn sie verstehen und können, souveräne Entscheidungen treffen werden.
Das bedeutet: Sie müssen netzwerken mit anderen, die ähnliche Herausforderungen haben. Sie müssen experimentieren, scheitern, neu versuchen. Der Wirtschafts- und Strukturrat Bremen Nord kann hier eine Rolle spielen – nicht als Berater, sondern als Lerngemeinschaft. Unternehmer treffen sich regelmäßig, berichten von Erfahrungen mit europäischen Alternativen, helfen sich gegenseitig. Für Privatpersonen könnte es ähnlich sein: Digitale Tische im Stadtteil, wo Menschen zusammenkommen und voneinander lernen. Mentorships zwischen digital-affinen Menschen und anderen. Gemeinschaftliches Lernen statt einsamer Kampf gegen die Komplexität. Auch dafür hat die Charta digitale Vernetzung einen Grundsatz: Damit Digitalisierung der Gesellschaft nutzt und nicht schadet, braucht es Vertrauen, Transparenz und Teilhabe.
Weitere interessante Artikel








