„Niemand soll abgehängt werden“

Vor-Ort-Beratung für digitale Vorgänge: Modellprojekt „Digital im Alter“ vorgestellt

Der ehrenamtliche Digitaltrainer Michael Krüger stellte das Modellprojekt in der Lesumer Beiratssitzung vor und sprach den Anwesenden eindringlich ins Gewissen.Foto: nik

Artikel vom: 01.07.2025

Bremen-Nord – Besonders dem Burglesumer Beiratsmitglied Werner Müller von der SPD ist zu verdanken, dass der Stadtteil seit 2023 eine Modellregion für digitale Teilhabe im Alter ist. In mehreren Tablet-Kursen konnte ein passgenaues Konzept entwickelt werden, wie der Umgang mit den Apps und Geräten seniorengerecht vermittelt werden kann. Die ehrenamtlichen Digitaltrainer Michael Krüger und Manfred Severit stellten dieses Konzept in der Beiratssitzung vor und verbanden das mit einigen dringlichen Appellen an die Politik. Zunächst müsse man wissen, dass 13 Prozent der Menschen im Rentenalter „komplett offline“ sind, mithin also keinen Nutzen vom Internet haben. Nur 20 Prozent der Altersgruppe seien aktive Nutzer, 40 Prozent hätten Schwierigkeiten mit diesen Technologien. Man dürfe auch nicht alle Senioren gleich behandeln: Die über 60-Jährigen hätten einen völlig anderen Zugang als über 80-Jährige. Über die spreche kaum jemand, dabei seien mittlerweile viele in diesem Alter. Er habe hochgerechnet, dass allein im Stadtteil Burglesum etwa 4300 dieser „digital Ausgegrenzten“ leben. 

   Vor zwei Jahren nun hatte Werner Müller also das Projekt gestartet und die dafür unerlässlichen Ehrenamtlichen akquirieren können. Man habe sich für Tablets statt PC entschieden, weil die intuitive Bedienweise sich auch auf Smartphones anwenden lässt. Ein Kurs umfasse zehn Termine von 90 oder 120 Minuten Dauer. Die Kurse bestehen aus Sechser-Gruppen mit zwei bis drei Trainern. Das sei nah an einer Eins-zu-Eins-Beratung. Viele Teilnehmer brächten frustrierende Erfahrungen aus Kursen mit, die Geld kosten und nicht seniorengerecht sind. Der Fokus liege auf den über 75-jährigen, man habe derzeit eine Liste von 94 Wartenden, was eine große Dunkelziffer vermuten lasse. „Wir üben so lange, bis jeder sagt, jetzt kann er den nächsten Schritt machen, stressfrei“ erklärt Michael Krüger das selbst entwickelte Konzept: „Senioren brauchen einfach Pausen und viele Wiederholungen.“ Die soziale Komponente gegen die Vereinsamung, die gemeinsamen Erfolgserlebnisse und die Dankbarkeit, die ihnen entgegengebracht würden, seien unvergleichlich. Eine 94-Jährige, die bisher älteste Teilnehmerin, meinte hochmotiviert: „Ich muss geistig fit bleiben!“ Die 88-jährige Teilnehmerin Christa sagte nach dem Kurs: „Es war schön, dass wir hier alle im selben Boot saßen.“ Sie versende nun gern Fotos von schönen Blüten aus ihrem Garten, auch von störenden Nacktschnecken, und ihre Enkel seien begeistert, dass Omi nun „mit dabei“ ist. 

Manfred Severit ergänzt: „Über 30 Prozent sind hier über 65. Aber auch die jungen Nutzer beschäftigen sich eigentlich nur mit der Oberfläche des Geräts.“ Er habe sich die Programme der Parteien angeschaut und eine Lücke bei dieser Thematik festgestellt. Digitalisierung wolle Einspareffekte erreichen, stattdessen entstünden aber Mehrkosten. Das werde uns in Zukunft immer mehr beschäftigen. 

Damit kamen die beiden zum Fazit: Vorteile seien soziale Verbindungen gegen Einsamkeit, geistige Fitness, Kontakt zur Familie, und vor allem: Alltagsautonomie. Man habe sich eine erreichbare Vision gesetzt und zähle nun auf die Unterstützung aus den Beiräten. Eine Forderung ist, dass im Ortsamt eine Koordinierungsstelle für die bestehenden und künftigen Stützpunkte eingerichtet wird. Davon verspreche man sich Synergieeffekte über die anderen Ortsämter. Die bestehenden Anlaufstellen sind bisher in der Lesumer Bibliothek, den Begegnungszentren Grambke und St. Magnus sowie dem Vereinsheim der SG Marßel. Man wolle nun noch mehr „Meeting Points“ etablieren, die fußläufig erreichbar sind und feste Sprechstunden anbieten könnten. „Ich sage Ihnen, die sind supergut besucht!“ Bei der vorigen Sprechstunde hätten über 15 Senioren sehr geduldig gewartet. Auch Hausbesuche sollen möglich sein, wenn etwa der Router spinnt.  Zu den Herausforderungen gehören die Kapazitäten für die intensive Betreuung, fehlende Technik und Räume, und vor allem, dass die Finanzierung offen sei.

Eine weitere Vision wäre eine Senioren-Hotline. Wenn die Kurse zu Ende seien, endeten die Fragen nicht. Zudem denke man über Schulkooperationen nach dem Motto „Jung hilft Alt“ nach, alles mit dem Ziel: „Niemand wird digital abgehängt“. Ferner erwarten die Ehrenamtlichen zumindest eine Aufwandsentschädigung, und die notwendige Ausstattung für die Kurse. An die große Politik geht die Forderung, dass analoge Verfahren erhalten bleiben.

Ortsamtsleiter Florian Boehlke dankte für die Präsentation und auch für die Übersendung des Forderungskatalogs. Maren Wolter, SPD, lobte: „Sich trauen, woran man schon einmal gescheitert ist, das finde ich beachtlich.“ Das Modellprojekt sei als bescheidener Einstieg konzipiert worden, statt gleich das große Ganze, die ganze Stadt ins Auge zu fassen. Werner Müller zufolge hat es „...den Ausschlag gegeben, dass wir Modellregion geworden sind, und jetzt sind wir an der Stelle, wo wir merken: Es geht! Deshalb die Bitte: stellt es nicht zuweit zurück.“ Florian Boehlke bat ihn, „den Beschluss im Herzen mitzutragen“, sich aber wegen seiner Beteiligung am Projekt bei der Abstimmung zu enthalten, die einstimmig erfolgte.

„Wir sind an der Grenze unserer Belastungsfähigkeit, das kann nicht ehrenamtlich geleistet werden.“ machte Michael Krüger sehr klar. Aktuell gebe es zehn Digitaltrainer in ganz Bremen-Nord. Sie verbanden damit die nachdrückliche Einladung, sich zu engagieren und diesem Team beizutreten. Alle notwendigen Auskünfte dazu bekommt man über Werner Müller unter Telefon 0421 / 6360220 oder per Mail: wm.sgm@web.denik


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