„Ich glaube, Männer fragt das niemand“

Internationaler Frauentag am 8. März: Frauen äußern sich zu ihrer Rolle in der Gesellschaft

Am 8. März ist Frauentag. FOTO: FR

Artikel vom: 02.03.2022

Region – (RDR, AS, NAD) Am 8. März ist der Internationale Frauentag. An diesem Tag finden in der Region immer viele Veranstaltungen statt – wegen Corona in diesem Jahr weniger. Trotzdem erinnern Vereine, Institutionen, Parteien und andere an die Wichtigkeit dieses Tages. Die Wochenzeitung Das BLV hat sich in der Region einmal umgehört, in welche Situationen die Frauen hier schon geraten sind und wie sie die Entwicklung der Frau in der Gesellschaft empfinden.
Ingrid Schulz ist Jahrgang 1946. Sie ist Versicherungskauffrau im Ruhestand und hat sich in den vergangenen Jahre im Seniorenbeirat Schwanewede engagiert. Die Situation der Frau habe sich im Hinblick auf die 1950er bis  1970er Jahren wesentlich verbessert. Sie erinnert sich an eine Situation Mitte der 1950er Jahre. Damals war sie  bei Verwandten zu Besuch. „Mehrmals kam deren Tochter weinend zu ihren Eltern. Sie wurde von ihrem Ehemann geschlagen. Die Eltern schickten sie jedoch immer wieder zurück.“ Ingrid Schulz fragte nach, warum sie ihr nicht halfen. Die Antwort war, dass sie verheiratet sei und ihrem Mann gehöre. Außerdem habe sie kein Geld, um allein klarzukommen. Zu der Zeit brauchte eine Frau noch die Erlaubnis und Unterschrift des Ehemannes, um zu arbeiten oder ein eigenes Konto zu eröffnen. „Seit damals wusste ich, dass ich mich niemals in eine solche Abhängigkeit, trotz aller Liebe, begeben würde“, berichtet Ingrid Schulz. Die heutige Ruheständlerin hat es geschafft, ihr Leben anders zu gestalten. Als sie wieder anfangen wollte zu arbeiten, teilte sie sich mit ihrem Mann die Betreuungszeiten für die Kinder. Später machte sich Ingrid Schulz mit einem Versicherungsbüro selbstständig.
Edeltraud Hennemann von der Galerie Lichthof Kunstfabrik  in Burgdamm stellt ihre filigranen Werke aus Holz mit der Kettensäge her. „Ich stelle fest, dass sich vieles verändert hat, aber noch nicht durchgängig genug. In der Kunst zählt, was man geschaffen hat, in anderen Bereichen ist das leider noch nicht so. Ich appelliere an die Frauen zu mehr Mut, eigene Ideen Fortsetzung VON seite 1
umzusetzen. Nur wer mit Leidenschaft und Herz dabei ist, wird sich auch durchsetzen können.“
Christina Jantz-Herrmann wurde Ende 2020 zur Bürgermeisterin in Schwanewede gewählt. Dieses Amt hat sie nun seit über einem Jahr inne. Vorher war sie unter anderem Bundestagsabgeordnete der SPD. Im Wahlkampf ist ihr besonders eine Situation im Kopf geblieben: Ein älterer Mann habe sie gefragt, wie sie das denn mit zwei Kindern schaffen wolle. „Ich glaube, Männer fragt das niemand“, sagt Christina Jantz-Herrmann. Sie denkt zudem, dass sie als junge Frau beruflich auch noch mal anders gesehen werde, als wenn es ein 43-Jähriger Mann sei. Dass sie Kinder hätte, würde bei ihr immer betont werden. Im Rathaus sei einer der Fachbereichsleiter eine Frau. Zudem würden auch immer mehr Frauen in männerdominierten Berufen arbeiten und andersherum Männer häufiger Erzieher werden oder Verwaltungsberufe ausüben. Bei der Entwicklung der Rolle der Frau sei noch Luft nach oben. „Frauen müssen selbstbewusster leben“, sagt die Bürgermeisterin.
Ulrike Stührenberg gehört den Landfrauen Rade und Umgebung an. Seit Jahren nehmen sie und ihre Mitstreiterinnen an Aktionen zum Internationalen Frauentag oder Equal Pay Day teil. „Ich finde schon, dass ich gleichberechtigt bin“, sagt sie. Aus ihrer Kindheit und Jugend weiß sie, dass das nicht immer so war. Sie ist mit ihrem Großvater aufgewachsen, und der hatte eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Trotzdem findet Ulrike Stührenberg, dass es noch Potenzial gebe, gerade im Hinblick auf gleiche Bezahlung und dass die Frauen später finanziell abgesichert seien.  Ganz entsetzt sei sie über die Stellung der Frau in Afghanistan. Dort hätte diese keine Rechte.
Maja Tegeler, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, hat selbst schon Diskrimierung erlebt. In der Politik, aber auch in Alltagssituationen, berichtet sie. „Man wird in der Kneipe dumm angemacht“, so die Bürgerschaftsabgeordnete aus Vegesack. Der Frauentag sei für sie sehr wichtig, da es bei  ganz vielen Punkten Benachteiligungen von Frauen gebe. Beispielhaft zählt Maja Tegeler dabei die ungleiche Bezahlung, die gestiegene Gewalt gegen Frauen und die Sorgearbeit, also zu Hause beispielsweise die Betreuung von Kindern oder die Pflege, auf.
Bärbel Kock verstaltet jedes Jahr einen Kunst-Workshop zum Internationalen Frauentag. In diesem Jahr steht dieser unter dem Motto: „In Vielfalt geeint.“ „Und wir Frauen sind ja vielfältig“, sagt die Künstlerin aus Aumund. Gerade habe eine ukrainische Workshop-Teilnehmerin, die in Deutschland lebt, sie angerufen. „Das ist Vernetzung, wir halten zusammen!“, so Bärbel Kock. In der Ukraine müssten die Frauen derzeit besonders stabil sein, wenn die Männer in den Krieg zögen. Der Frauentag sei sehr wichtig, findet Bärbel Kock, die froh ist, dass das Thema „Gendern“ endlich in der Gesellschaft angekommen sei. Das sei ein Stück Freiheit für Frauen.
„Es gibt viele Frauen, die Schlimmeres erfahren haben als ich. Aber sexistische Sprüche, unerwünschte Berührungen oder Vertraulichkeiten – das habe ich oft erlebt, wie wohl fast jede Frau. Manchmal konnte ich mich wehren, manchmal war ich einfach zu verdattert – und habe mich im Nachhinein geärgert“, schreibt Dr. Katja Pourshirazi, Leiterin des Overbeck-Museums in Vegesack. „Ich habe schon das Gefühl, dass es insgesamt selbstverständlicher wird, Frauen respektvoll zu behandeln und ihnen ebenso viel zuzutrauen wie Männern. Jede neue Generation trägt zu dieser neuen Normalität bei. Aber angekommen sind wir noch lange nicht.“
Und was könnte sich noch verbessern? „Warum werden immer nur Frauen gefragt, wie sie Beruf und Familie vereinbaren? Warum nehmen die meisten Männer nur zwei Monate Elternzeit? Warum verdient man in ‚männertypischen‘ Berufen grundsätzlich mehr als in ‚frauentypischen‘? Ist es wirklich mehr wert, eine Brücke zu bauen als Kinder zu versorgen? Die Liste der 1000 großen und kleinen Dinge, die noch anders werden müssen, ist lang … Aber wir geben nicht auf!“, so Dr. Katja Pourshirazi.


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