„Die Seelenmuskeln stärken“

Systemische Therapeutin Özden Ohlsen erklärt Gedanken, Emotionen und Handlungen

Özden Ohlsen tritt für eine Lernkultur statt einer Fehlerkultur ein und entwickelt ein Beratungsangebot für Unternehmen, denen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter wichtig ist. Foto: Sarah Mehler

Artikel vom: 26.03.2024

Bremen (NIK) – Gesundheit ist erlernbar, ist Özden Ohlsen überzeugt. Sie weiß wovon sie spricht, denn ihr wurde das nicht leicht gemacht. Bei einer Lesung in der Sparkassen-Stadtteilfiliale Blumenthal stellte sie ihr Buchprojekt „Station 61“ vor. Es ist ihre sehr persönliche Geschichte, die sie entwaffnend schonungslos erzählt. „Ich lebe das Leben vorwärts, doch ich verstehe es rückwärts“, sagt sie.

Nach der Trennung ihrer Eltern kam sie als Elfjährige aus der Türkei nach Deutschland. Als Jugendliche fühlte sie sich ihrem Umfeld nie wirklich zugehörig und hatte wenige Vorbilder zur Identifikation. „Meine Mutter war meine Heldin“ sagt sie. Der Cannabiskonsum ihrer Altersgenossen habe ein Gemeinschaftsgefühl versprochen, das sich für sie nicht einlöste. Sie habe sich als hohle Figur mit null Bezug zu sich selbst gefühlt. „Ich wollte viel erzählen, merkte aber dass sich meine Lippen nicht bewegten.“

Nach ihrem Abitur war sie mit 21 Jahren mit der Diagnose einer drogeninitiierten Psychose im Klinikum Bremen-Ost eingewiesen worden, wo sie sediert, fixiert und körperlich misshandelt worden sei. Bei einer Oberarztvisite nach ihren Zukunftsplänen befragt, äußerte sie den Wunsch, ein Studium oder eine Ausbildung aufzunehmen. Die Antwort des Arztes lautete, sie könne das nicht und er sehe sie im betreuten Wohnen. Das stellte sich als Schlüsselerlebnis für sie heraus. Sprache sei geeignet, Macht auszuüben. „Gedanken erzeugen Emotionen und Emotionen manifestieren sich in Handlungen.“ 

Sie stellte fortan Gesundheit in den Mittelpunkt ihres Handelns und ist heute als Heilerziehungspflegerin, Familienberaterin und systemische Therapeutin nun auch zur Firmengründerin geworden. Mit der „Fabrik der Gesundheit“ will sie Unternehmen zu einer gesünderen Firmenkultur verhelfen. Sie spreche damit zunächst vor allem junge Tech-Unternehmen an, wie sie etwa in der Überseestadt beheimatet sind. Die Firmen sollen so insbesondere jungen Mitarbeitern direkte bedarfsorientierte Entlastungsgespräche ermöglichen können. 

Dafür hat sie ein Team von bislang 19 qualifizierten Beratern etabliert, darunter Ärzte, Therapeuten, Psychologen, Fitnesstrainer, Ernährungs- und nicht zuletzt Finanzberater. Finanzielle Sorgen könnten sich sehr negativ auf die Konzentration auswirken. 

Die Beratungen können wahlweise telefonisch oder schriftlich in bisher zwölf verschiedenen Sprachen in Anspruch genommen werden, darunter französisch, arabisch, spanisch, türkisch, russisch, polnisch sowie in den indischen Sprachen. Unternehmen sollten sich nicht für „schicke Ideen“ wie Obstkörbe selbst feiern, sondern einen nachhaltigen Beitrag zur betrieblichen Gesundheitsförderung als Investition in ihre Belegschaft begreifen. Mit Lernkultur statt Fehlerkultur könne man als Unternehmen beispielhaft sein.

Die jungen Menschen würden in der heutigen Zeit einerseits sehr behütet aufwachsen, seien aber andererseits einer permanenten Reizüberflutung ausgesetzt. Dies führe zu einer Abkapselung gegen äußere Reize, mit wenig Möglichkeiten sich selbst zu erleben und eigene Emotionen zu erlernen. Man sei auch in vielen verschiedenen Rollen unterwegs und erlebe Irritationen, wenn sich diese überkreuzen. Es gebe keine klare Grenze zum Privaten mehr, man komme nicht nach Hause und lege den Umhang ab. Die notwendige Alltagsentlastung werde dadurch sehr vernachlässigt. „Wer seine Mitarbeitenden entlastet, entlastet damit auch das Unternehmen“ spricht sie Führungskräfte an. Man müsse mehr Authentizität wagen, einfach echt man selbst sein. 

Auf Instagram findet man dazu ihre Idee vom goldenen „Magic-Korn“ welches einen Gedankensamen symbolisieren soll. „Deine Gedanken sind Gold wert“, ist dabei die Botschaft. Selbstwirksamkeit und der Mut seinen eigenen Weg einzuschlagen, einfach machen, sei die Devise. Damit möchte sie auch andere ermuntern, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen.

Özden Ohlsen rät zu einem täglichen Dankbarkeitsjournal, womit schon in der Fragestellung der Fokus auf Positives gelegt wird. Man solle sich täglich darauf besinnen, was einem gutgetan und einen nach vorne gebracht habe. Die 38-jährige spricht sich dafür aus, dass Ärzte für den Umgang mit Patienten sensibilisiert werden sollen.

Eine Welt ohne Psychiatrie bezeichnet sie als Utopie. Doch direkt danach verweist sie auf konkrete Wege, diese Utopie zur Wirklichkeit zu machen: Sie unterstützt die Arbeit der Blauen Karawane, einer Initiative, welche den Fokus auf Prävention setzt. Bei einem Rundgang durch deren Werkstätten in der Überseestadt erklärt sie die Ursprünge und Zielsetzung des Projekts, das vor 30 Jahren aus der Auflösung einer psychiatrischen Klinik entstand.

Die nächste Gelegenheit, eine Lesung aus „Station 61“ von Özden Ohlsen zu besuchen, wird am 4. April um 18.30 Uhr in der Stadtteilfiliale Neustadt sein. Der Eintritt ist frei, es findet eine Spendensammlung zugunsten der Blauen Karawane statt. Um Anmeldung wird gebeten unter 0421 / 179-1607 oder per E-Mail an stadtteilfiliale.neustadt@sparkasse-bremen.de


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