Jeder Sechste lebt in Armut

Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung dokumentiert großes soziales Gefälle

Geplante Reformen der Bundesregierung am Bürgergeld – welches dann „Grundsicherung“ heißen soll – sehen vor, dass Kosten für Unterkunft komplett gestrichen werden können, wenn Betroffene nicht „mitwirken“.   Symbolfoto: fr

Artikel vom: 28.10.2025

Region – (red) Der von der Bundesregierung vorgelegte Armuts- und Reichtumsbericht zeigt auf, dass jeder sechste Mensch in Deutschland in Armut lebt.  Der Paritätische Gesamtverband hebt in einer Stellungnahme dazu hervor, dass gleichzeitig das reichste Zehntel über 54 Prozent des Nettovermögens verfüge, während auf die andere Hälfte der Bevölkerung nur drei Prozent des Vermögens entfallen. „Diese soziale Spaltung ist Sprengstoff für unsere Demokratie”, bilanziert Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, den 683-seitigen Bericht. Es sei ein ernüchterndes Dokument der sozialen Schieflage in Deutschland: „Der Bericht zeigt glasklar: Armut bleibt in Deutschland ein Massenphänomen, das sich zunehmend verfestigt. Gleichzeitig wird das Thema Reichtum weitgehend ausgeblendet:  Das ist ein fatales politisches Signal.“

Laut Bericht liegt die Armutsquote seit Jahren stabil auf sehr hohem Niveau zwischen 14 und 18 Prozent. Besonders betroffen sind Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinder, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen. Selbst Erwerbstätigkeit schützt längst nicht zuverlässig vor Armut: Jeder sechste Job ist ein Niedriglohnjob. Hinzu kommt, dass die Reallöhne in den Krisenjahren trotz Mindestlohnerhöhungen gesunken sind.

Der Verband sieht sich dabei in seinen eigenen Analysen bestätigt: Die Befunde zeigen, dass Wohnen zu einem Schlüsselfaktor sozialer Ungleichheit geworden ist. Fast jeder achte Haushalt muss mehr als 40 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen aufwenden. Bei Menschen in Armut ist es sogar mehr als jeder dritte Haushalt. „Ohne Erbschaften bleibt der Immobilienerwerb für junge Menschen außer Reichweite. Sozialer Aufstieg wird aussichtslos, wenn nicht einmal der Ausstieg aus Armut ermöglicht wird“, erklärt Rock. „Wir brauchen endlich ernsthafte Maßnahmen zur Umverteilung und Reduzierung von Ungleichheit.“

Eine Studie des Paritätischen Verbands zur Lebenslage von Menschen im Bürgergeldbezug zeige das erschreckende Ausmaß sozialer Entbehrung. Man befinde sich deutlich unter der Armutsgrenze von 1381 Euro monatlich – dazu fehlen im Schnitt fast 500 Euro jeden Monat. Die Differenz zwischen dem, was jemand bekommt und der Armutsgrenze ist die sogenannte Armutslücke. Diese Armutslücke ist in den vergangenen Jahren drastisch angewachsen. Sie betrug bei Alleinlebenden 2010 noch 308 Euro. 2023 stieg sie auf 474 Euro. Die konkreten Auswirkungen zeigen, was dies im Alltag bedeutet: 86,6 Prozent können keine unerwarteten Ausgaben von 1250 Euro finanzieren. Mehr als die Hälfte, nämlich 55,4 Prozent, kann kaputte Möbel nicht ersetzen. Fast ein Drittel kann nicht mal gelegentlich, also einmal im Monat, mit Bekannten essen oder trinken gehen. Fast jeder Fünfte hat Zahlungsrückstände bei Miete, Strom oder Heizung. Besonders alarmierend ist, dass 30,8 Prozent sich nicht mal jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten können – und 17,2 Prozent haben kein zweites Paar Schuhe. „Es ist ein Skandal, dass Millionen Menschen nicht einmal das Nötigste haben. Während die Bundesregierung aktuell Reformpläne vorlegt, in denen vorrangig von Kürzungen und Verschärfungen die Rede ist, können Menschen im Bürgergeld sich keine tägliche vollwertige Mahlzeit leisten und haben kein zweites Paar Schuhe. Das ist beschämend für unser Land. Besonders bitter: Knapp zwei Millionen Kinder und Jugendliche wachsen in dieser Armut auf. Statt Verschärfungen brauchen wir endlich eine spürbare Erhöhung der Regelbedarfe“, kommentiert Joachim Rock diese Studienergebnisse.

Der Armutsbericht der Regierung dokumentiere nicht nur eine extreme Vermögensungleichheit, sondern zeige auch, dass soziale Ungleichheit in ungleicher politischer Teilhabe münde und so Demokratie und Zusammenhalt gefährde. Schon jetzt schwinde gerade bei Armutsbetroffenen das Vertrauen in Institutionen. „Diese Kluft gefährdet den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie. Wer über Armut spricht, darf über Reichtum und Privilegien nicht schweigen“, mahnt Rock. „Es reicht nicht, nur Armut zu bilanzieren. Was fehlt, ist der politische Wille zu einer Umverteilung von oben nach unten. Armut ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen. Der Bericht liefert die Daten – nun ist es Aufgabe der Politik, endlich entschlossen zu handeln.“

Der Paritätische Gesamtverband fordere deshalb die stärkere Beteiligung von Superreichen an der Finanzierung des Gemeinwesens, die solidarische Finanzierung der Sozialversicherungen durch ihren Ausbau zu einer sozialen Bürgerversicherung, eine gerechtere Erbschafts- und Einkommensteuer, eine armutsfeste Grundsicherung und massive Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Bildung, Inklusion und Gesundheit.


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