Stück für Stück zur Fachkraft

Joachim Ossmann über Wege, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenzubringen

Joachim Ossmann ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bremen - Bremerhaven. Foto:Archiv

Artikel vom: 30.11.-0001

Redaktion (RL): Im Geschäftsbereich der Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven sind derzeit 43274 Menschen arbeitslos. Dazu kommen noch 14242 in Maßnahmen und beruflicher Weiterbildung. Demgegenüber stehen rund 9000 offene Stellen. Warum finden Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zusammen?

Joachim Ossmann: Das Problem bei der Vermittlung ist das Missverhältnis zwischen den offenen Stellen und den Arbeitslosen. Die große Anzahl offener Stellen lässt sich trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht so einfach besetzen. Wenn man hinter die Zahlen schaut, dann erkennt man, dass die suchenden Betriebe sich auf Fachkräfte konzentrieren. Und genau diese Qualifikation finden wir unter den Arbeitslosen relativ wenig.

Woran liegt das?

Etwa zwei Drittel der Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung und kommen deshalb im ersten Moment nicht für Facharbeiterstellen in Betracht. Das mit dem „ersten Moment“ betone ich dabei ausdrücklich.

Ist das ein besonderes Phänomen des Bremer Arbeitsmarktes oder tritt das bundesweit auf? 

Es ist ein großstädtisches Phänomen. In allen großen deutschen Städten ist der Anteil Arbeitsloser ohne Berufsausbildung besonders hoch. Das trifft natürlich auf Bremen auch zu.

Was macht die Agentur für Arbeit, um die Situation zu verbessern?

Grundsätzlich investieren wir sehr viel Geld in Qualifizierungsmaßnahmen. Wir wollen das Qualifikationsniveau der Arbeitslosen erhöhen. Es sind regelmäßig etwa 10000 Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und davon etwa 2500 in Qualifizierungsmaßnahmen, die oft zu einem Berufsabschluss führen. Wir qualifizieren auch Beschäftigte. Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Strategie. Daneben unterstützen wir Arbeitgeber dabei, eingestellte Helfer auf ein höheres Qualifikationsniveau zu bekommen.

Wie das?

Wir übernehmen einen Teil des Lohnes, weil der Beschäftigte während der Teilnahme am Unterricht ja keine Arbeitsleistung erbringt. Und wir übernehmen auch die Kosten für die Qualifizierungsmaßnahme. Das setzt sich mehr und mehr bei den Betrieben durch. Wir machen dafür intensiv Werbung. Angesichts des Missverhältnisses, das ich eben beschrieben habe, ist das auch ein guter und richtiger Weg.

Wie groß ist Ihr Budget für solche Qualifikationen? 

Der Eingliederungstitel der Agentur beträgt 31,3 Millionen Euro. 19,5 Millionen davon sind für berufliche Weiterbildung vorgesehen. Damit sind wir gut ausgestattet. Wir müssen keine Einschränkungen gegenüber den Betrieben vornehmen. Im Gegenteil: Wir bieten unsere Hilfe offensiv an.

Sie sprachen eben den hohen Anteil Arbeitsloser ohne abgeschlossene Ausbildung an. Wie aufwendig ist es, aus dieser Gruppe Fachkräfte zu machen? 

Das beschriebene Vorgehen, jemanden als Helfer anzustellen und dann Stück für Stück hoch zu qualifizieren, ist für die Betriebe eine Alternative zur Fachkraft, die auf dem Markt nicht verfügbar ist. Das hat vor allem den Vorteil, dass die Helfer dann ja auch schon Lohn beziehen. Das Geld, mit dem sie dann ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist mehr als das Arbeitslosengeld. Deswegen ist es ein attraktiver Weg.

Ist Sprache auch ein Einstellungshindernis? Funktioniert Integration durch Arbeit?

Auf jeden Fall. Arbeitsagentur und Jobcenter haben seit 2015 viel Erfahrung mit der Integration von Geflüchteten. Mit Hilfe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bieten wir zunächst Deutschkurse an. Wenn die sprachliche Hürde dann niedriger ist, gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt besser. Wir möchten aber hier einen neuen Weg einschlagen. Anstatt wie bisher zunächst die Deutschkenntnisse zu verbessern und dann beruflich zu qualifizieren, wollen wir das zukünftig parallel organisieren. Das versuchen wir aktuell in einzelnen Projekten.

Wie hat sich der Anteil arbeitsloser Ausländer entwickelt? 

Mit Blick auf die Statistik kann man sagen, dass wir zwar immer noch einen hohen Ausländeranteil an der Arbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven haben. Gleichzeitig erkennen wir, dass die Ausländerbeschäftigung von 2015 bis 2023 enorm gestiegen ist. In diesen acht Jahren ist die Beschäftigung insgesamt um 33690 Personen gewachsen. Davon hatten 22698 eine ausländische Staatsangehörigkeit. Das heißt der Beschäftigungszuwachs geht zu zwei Drittel auf Ausländerinnen und Ausländer zurück. Das finde ich bemerkenswert. Es zeigt, dass Ausländer auf Arbeitsmarkt gut Fuß fassen und dass sie eine wichtige Stütze sind. Auf die Arbeitslosigkeit bezogen heißt das, dass hier ein wichtiges Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt vorhanden ist. 

Woher kommen die Ausländer, die in Beschäftigung gegangen sind? 

Unter den 22698 Ausländern fallen zwei Gruppen besonders auf: Das sind etwa 6000 Menschen aus den EU-Oststaaten und weitere 6000 aus den Haupt-Asyl-Herkunftsländern. Der Anteil Geflüchteter ist also merklich hoch. In einzelnen Branchen ist der Anteil ausländischer Beschäftigter so stark gestiegen, dass sie ohne ausländische Beschäftigte gar nicht mehr existenzfähig wären.

Welche sind das? 

Im Garten- und Landschaftsbau liegt der Anteil ausländischer Beschäftigter bei 41,7 Prozent, Gastronomie 36,8, Beherbergung 31,3, Baugewerbe 23,7. Da kann man schon sagen, dass diese Personengruppe diese Branchen und damit den Arbeitsmarkt entscheidend stabilisiert. Im Gesundheits- und Sozialwesen ist schon jeder zehnte Arbeitnehmer ein ausländischer Beschäftigter. In der für Bremen wichtigen Logistik bald jeder fünfte. Wenn man sich die Personengruppe wegdenken würde, hätten diese Branchen ein massives Arbeitskräfteproblem.


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